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Eduard Rosé – von Bernhard Post

Eduard Rosé, Hamburg, 1903. Wikipedia.

Ein Musikerschicksal im Spannungsfeld zwischen europäischer Kultur und deutscher Provinz


Weimar, eine Stadt von nur 60.000 Einwohnern, gilt gemeinhin als der zentrale Ort der deutschen Kultur. Hier wurde Kultur produziert, Kulturgeschehen inszeniert und schließlich der sogenannte „Mythos Weimar“ für gegensätzliche politische Systeme instrumentalisiert. Wohl kaum an einem anderen Ort in Deutschlands liegen deshalb auch kulturelle Zeugnisse von hohem Wert und die Spuren des menschenverachtenden NS-Regimes so dicht beieinander.


Die schriftlichen Zeugnisse dieser Zeit zu bewahren und zur ständigen Warnung an jetzige wie nachfolgende Generationen zum Sprechen zu bringen, ist der Auftrag der Archive. Sie sind deshalb auch keine Friedhöfe der Verwaltung, sondern haben vielmehr die Aufgabe, neben dem Schutz der ihnen in den unterschiedlichsten Überlieferungsformen anvertrauten Informationen sowie deren Benutzbarmachung selbst auch als historisch-politische Bildungsanstalten wirksam zu werden. Bei seiner Arbeit stößt der Archivar immer wieder auf Schicksale und Ereignisse der Vergangenheit, die unabhängig von lokalen Bezügen Denkanstöße für aktuelle Diskussionen liefern können.


Das Thüringische Hauptstaatsarchiv ist seit 1952 im Marstall zu Weimar untergebracht, einem Gebäudekomplex mitten in der Stadt, der von 1936 bis 1945 als Gestapo-Leitstelle für das Land Thüringen diente. Zwar wurde der Marstall Anfang der 70er Jahre zum politischen Denkmal erklärt, doch fand in der DDR keine Auseinandersetzung mit der Geschichte dieses Ortes statt und er blieb der Öffentlichkeit verschlossen. Im Zuge der Sanierung des gesamten Gebäudekomplexes wurden im Jahre 1994 die Zellen für Untersuchungsgefangene im Keller wiederentdeckt. Im Frühjahr 1999 eröffnete das Thüringische Hauptstaatsarchiv in Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Buchenwald eine Dauerausstellung zur Geschichte dieses Ortes nationalsozialistischer Machtausübung. Längst überfällig, wurde es im europäischen Kulturstadtjahr als besonders wichtig angesehen, bewußt zu machen, daß nur wenige Schritte von den Wirkungsstätten Goethes, Schillers und Herders entfernt Menschen inhaftiert und misshandelt worden waren.


Die Ausstellung erinnert auch an die Menschen, die in dem Gefängniskeller gelitten haben. Einer von ihnen war Eduard Rosé, ein Orchestermusiker jüdischer Abstammung. Sein außergewöhnlicher Lebensweg zeigt einmal mehr die in den letzten Jahren häufig zitierte „Janusköpfigkeit“ der Stadt Weimar und ist gleichermaßen paradigmatisch für den Kulturverlust Deutschlands in Folge des nationalsozialistischen Regimes.


Am 17. September 1941 schrieb Eduard Rosé, Cellist und Konzertmeister im Ruhestand, an den Polizeipräsidenten der Stadt Weimar, Staatsrat Paul Hennicke: „Ich bitte daher ganz ergebenst, mich gütigst davon entbinden zu wollen, den bewußten Stern zu tragen.“ Gemeint war der sogenannte „Judenstern“, mit dem aufgrund einer Polizeiverordnung des Reichsinnenministeriums seit dem 15. September 1941 nach den okkupierten Gebieten nun auch im Reich Menschen jüdischer Abstammung stigmatisiert und weiter aus dem öffentlichen Leben ausgegrenzt wurden. Dieser Antrag Rosés war für die nationalsozialistischen Machthaber in Weimar ein unerhörter Vorgang. Er zog für den Antragsteller schwerwiegende Konsequenzen nach sich, worauf noch ausführlich einzugehen sein wird. Zunächst ist jedoch anhand seiner Biographie der Frage nachzugehen, welche Lebenserfahrungen Eduard Rosé, der bis zu diesem Zeitpunkt schon fast ein Jahrzehnt in einem nationalsozialistischen „Mustergau“ gelebt hatte, zu diesem Wagnis veranlaßt haben konnten. Sein außergewöhnliches Verhalten gegenüber dem nationalsozialistischen Regime, dessen Gründe offenbar in seinem kulturellen Selbstverständnis wie in der außergewöhnlichen Geschichte seines familiären Umkreises mit europäischen Dimensionen zu suchen sind - einem Familienverband, der mit Recht als „Musical Royalty“ bezeichnet wurde - fordert geradezu nach einer Auseinandersetzung mit seiner Biographie.

Von Rumänien nach Amerika

Almanach des Deutschen Nationaltheaters. Weimar 1925, S. 67

Eduard Rosé wurde mit dem Familiennamen Rosenblum am 29. März 1859 in Jassy/Rumänien geboren. Die Möglichkeiten nutzend, die Bürgern jüdischer Abstammung ab 1867 in Österreich-Ungarn eingeräumt wurden, übersiedelte sein Vater, Hermann Rosenblum, ein wohlhabender Kutschenbauer, mit der Familie nach Wien. Hier war eine Förderung des früh zu erkennenden musischen Talents seiner vier Söhne möglich. Bald schon wurden sie von französischen Privatlehrern in Kunst, Literatur, Geschichte und Wissenschaft unterrichtet.


Die Familie Rosenblum


Alexander, der älteste der Rosenblum-Söhne (1858-1904), lebte als Musikalienhändler und Konzertunternehmer in Wien. Auch der jüngste Sohn Bethold (1870-1925) ergriff zuerst den Beruf eines Musikalienhändlers, wechselte aber 1895 zur Schauspielerei. Sein Fach war das des „ersten Charakterkomikers und älteren Bonvivants und er erzielte durch seine drastische Komik wie durch seinen gemütlichen Humor und routiniertes Spiel verdienten Beifall.“ Ohne eigentlich eine entsprechende Ausbildung genossen zu haben, erhielt er bald schon für vier Jahre ein Engagement am Hoftheater in Wiesbaden. Hier avancierte er zu einem der Lieblingsschauspieler von Kaiser Wilhelm II. Seine Paraderollen, der „Frosch“ in der „Fledermaus“ und der „Argan“ in „Der Eingebildete Kranke“ waren wohl ein Grund für die kritische Bemerkung seines Neffen Alfred Rosé, er habe sich beinahe zu einer Art „court jester for the king“ (Hofnarr), entwickelt. Nach Streitigkeiten mit dem Intendanten Georg von Hülsen (1858-1922), der ihn nach Wiesbaden geholt und dort gefördert hatte, führten ihn Tourneen nach Bosnien, Herzegowina, Serbien, Rumänien, in die Türkei und nach Rußland. Ab 1903 war er Regisseur und Darsteller am „Bunten Theater“ in Riga. Nach der Aussage seines Neffen war der Schauspieler auch im wahren Leben ein Bonvivant, ein „fresser whose huge appetites led to an early death in his mid-fifties.“


Eduard Rosé studierte gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Arnold (1863-1946) von 1876 bis Juli 1879 am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Seine Lehrer für die Ausbildung am Violoncello waren Karl Udel und Reinhold Hummer. Von 1875 bis 1878 war auch Gustav Mahler (1860-1911) Schüler am Wiener Konservatorium. Mahler spielte am 11. Juli 1878 sein Quintett für Streicher und Klavier (Scherzo), mit dem er wenige Tage zuvor den Abschlußpreis des Konservatoriums gewonnen hatte. Begleitet wurde er dabei neben anderen von Eduard Rosé. In dieser Wiener Zeit entwickelte sich eine enge Freundschaft zwischen den Rosé-Brüdern und Mahler, die ein Leben lang anhalten und sich noch durch familiären Verbindungen festigen sollte. Arnold Rosé, ein hochbegabter Violinist, wurde im Alter von nicht einmal 18 Jahren 1881 an das Wiener Hof- später Staatsopernorchester verpflichtet, wo er bis zu seiner Emigration im Jahre 1938 als 1. Konzertmeister und Professor an der Wiener Staatsakademie wirkte. Im Jahre 1882 gründete Arnold ein Streich-Quartett, dem auch sein Bruder Eduard sowie Julius Egghard und Anton Loh angehörten. Im selben Jahr nahmen Arnold und Eduard den Bühnennamen Rosé an. Ihr Rosé-Quartett, das zu den besten seiner Zeit gehörte, fand neben seiner künstlerischen Qualität vor allem auch durch Uraufführungen von Werken von Johannes Brahms, Hans Pfitzner, Arnold Schönberg und Max Reger europaweit Beachtung. Arnold Rosé hatte seine letzten Auftritte nach der Emigration in London im Jahre 1945, „making his career one of the longest in the history of violin playing.“


Eduard Rosé, der nicht zuletzt wegen unglücklicher Lebensumstände immer im Schatten seines Bruders Arnold leben sollte, wurde ab Oktober 1884 als 1. Solocellist an die Königliche Hofoper in Budapest verpflichtet, wo er bis zum September 1887 wirkte. Ein Jahr danach führte auch Gustav Mahlers Weg nach Budapest, der hier für drei Jahre die Direktion der Oper übernahm. Für Eduard Rosé waren die Jahre zwischen 1887 und 1891 mit „Konzertreisen in Oesterreich-Ungarn und anderen Ländern ausgefüllt.“ Ab Oktober 1891 wurde Eduard Rosé durch Arthur Nikisch (1855-1922), der auch Freund und Förderer von Gustav Mahler gewesen war, für das Bostoner Symphonie Orchester verpflichtet.  In diesem Jahr erfolgte auch Rosés Übertritt zum Protestantismus. Nachfolger von Nikisch, der ab 1893 die Leitung der Budapester Oper übernahm, wurde in Boston Wilhelm Gericke (1845-1925), der bekannt dafür war, von seinen Musikern höchste Disziplin zu fordern („he always advocatet precision“). 


Liebesverhältnisse


Während eines Sommeraufenthalts in Wien heiratete Eduard Rosé am 2. Juni 1898 Emma Mahler (geb. 19. Oktober 1875), eine Schwester Gustav Mahlers. „Übrigens geht die Geschichte im Stillen vor sich, und noch im August dampft das Paar nach Boston, dem Aufenthaltsorte des Bräutigams, der Cellist im Symphonieorchester daselbst ist, ab“, berichtete Gustav Maler seinem Freund Behn nach Hamburg. Nach der Meinung von Norman Lebrecht wurde diese Ehe von Gustav Mahler in die Wege geleitet. Es war ihm angeblich nicht verborgen geblieben, daß sich der erfolgversprechende junge Dirigent Bruno Walter (1876-1962) in Emma verliebt hatte. Da er von Walters Talent überzeugt war, wollte er möglicherweise einen potentiellen Konkurrenten nicht zum Schwager haben und verheiratete seine Schwester deshalb in aller Eile mit Eduard Rosé. Alma Mahler, die spätere Ehefrau Gustav Mahlers hingegen war überzeugt, daß Arnold Rosé und Mahlers zweite Schwester Justine diese Ehe gestiftet hätten, da die Vier freundschaftlich verbunden waren und hofften, sich auf diesem Wege öfter sehen zu können. Mahler traf es wenige Jahre später tief, entdecken zu müssen, daß auch die Beziehung seiner Lieblingsschwester und Vertrauten Justine zu Arnold Rosé über eine Freundschaft hinausging. Anderen aber war offensichtlich längst bekannt, was Mahler selbst verborgen geblieben oder von ihm ignoriert worden war. Bruno Walter schrieb am 30. Dezember 1901 an seine Eltern: „Justis Verlobung mit unserem Konzertmeister Rosé ist eine alte Geschichte“ und berichtete weiter “beide hätten aber auf ihre Verlobung verzichtet, wenn Mahler sich nicht auch [mit Alma Schindler] verlobt hätte; Justi hätte ihren Bruder sonst nie allein gelassen.“ Alma und Gustav Mahler heirateten am 9. März 1902 in Wien. Trauzeugen waren Carl Moll, Almas Stiefvater, und Arnold Rosé. Nur einen Tag später heirateten Arnold und Justine Rosé. Arnold hatte sich direkt vor der Trauung taufen lassen. Die Mahlers waren dabei nicht anwesend, da sie sofort nach ihrer eigenen Trauung zu einem Konzert nach Sankt Petersburg hatten abreisen müssen.


Eduard Rosé und seine Frau Emma waren nach ihrer Heirat im Jahre 1898 zunächst wieder nach Amerika gegangen, wo das Paar in der 8. Marburg Tarrace in Roxbury, Bosten, eine Wohnung bezog. Die junge Frau litt jedoch bald unter der Trennung von ihrer Familie.

Von Boston nach Weimar

Eduard Rosé als 1. Cellist des Orchesters der Großherzoglichen Hoftheaters um 1907 Dirigent: Rudolf Kryzanowsky

Im Frühjahr 1900 war in Weimar am Großherzoglichen Hoftheater nach dem Tode des Konzertmeisters Leopold Grützmacher die Stelle des ersten Violoncellisten vakant geworden. Zunächst gediehen die Verhandlungen mit dessen Sohn Friedrich Grützmacher, der als Konzertmeister in Köln tätig war, recht weit, scheiterten aber schließlich an der finanziellen Ausstattung der Weimarer Stelle. Trotz der schlechten Bezahlung machte der um die Jahrhundertwende noch eng mit den Namen Johann Nepomuk Hummel, Franz Liszt und Richard Strauss verbundene Ruf des Weimarer Orchesters dieses auch für einen international renommierten Musiker attraktiv. Namentlich auf dem Gebiet der Oper hatte sich das Weimarer Orchester unter der Intendanz von Hans Bronsart von Schellendorff (1830-1913) in den Jahren 1887 bis 1895 durch zahlreiche Uraufführungen und eine hohe musikalische Qualität einen Namen gemacht. In dieser Situation empfahl Mahler seinen Schwager Eduard Rosé, der einmal über die entsprechende künstlerische Qualifikation verfügte und zum anderen mit seinen vierzig Lebensjahren inzwischen „aller Wanderschaft müde“ sei und „daher eventuell auch für Weimar eine endgültige Lösung“ darstellen könnte. Mahler verfügte über sehr genaue Kenntnisse der Weimarer Verhältnisse. Einmal stand er mit Richard Strauss in engem künstlerischen Austausch, der ja die Weimarer Hofkapelle zwischen 1889 und 1894 reorganisiert hatte und nun als Vorsitzender des Allgemeinen Deutschen Musikvereins (ADMV) noch häufig in der Stadt weilte, zum anderen war Mahler auch mit dem Weimarer Kapellmeister Rudolf Krzyzanowski (1862-1911) freundschaftlich verbunden. Zwiespältig war sicherlich Mahlers persönliche Erinnerung an die Stadt. Mit Unterstützung durch Richard Strauss hatte er hier am 3. Juni 1894 anläßlich der 30. Tonkünstlerversammlung eine überarbeitete Fassung seiner Ersten Symphonie „Titan“ dirigiert. Die Aufnahme durch das Publikum war von „geteilt“ bis hin zu einem „eklatantem Mißerfolg“ bewertet worden. 


Mahler hatte einen ausgeprägten Familiensinn und fühlte sich nach dem Tod beider Eltern im Jahre 1889 für seine vier noch lebenden jüngeren Geschwister verantwortlich. Als Ursache für die Suche nach einem Engagement für Eduard Rosé in Deutschland gab Mahler die angegriffene Gesundheit seiner Schwester Emma an, der das Klima an der amerikanischen Ostküste zu schaffen machte und die unter Heimweh nach Europa litt. Seit Herbst 1897 Direktor der Hofoper in Wien, eines der einflußreichsten Ämter in der Musikwelt, bemühte er sich nun um eine Anstellung für seinen Schwager in Deutschland. Ein Engagement in Wien war nicht möglich, da es für Mahler als Direktor „unschicklich“ gewesen wäre, „einen Verwandten anzustellen.“ Dies war insofern besonders unglücklich, da Wilhelm Jahn, der Vorgänger Mahlers, eine Verpflichtung Eduard Rosés nach Wien vor seiner plötzlichen Erkrankung angeblich bereits beschlossen hatte. 


Nach den gescheiterten Verhandlungen mit Grützmacher wurde Mahlers Anregung in Weimar gerne aufgegriffen. Man ging dabei auch auf Mahlers weiteren Wunsch ein, die Einstellung nicht von einem vorherigen „Concurse“ abhängig zu machen, da sein Schwager wegen der Erfüllung seiner vertraglichen Verpflichtungen in Boston die weite Reise für ein Probespiel nicht kurzfristig antreten konnte und sich zudem seine „Schwester eben in anderen Umständen“ befände. Dafür, daß Eduard Rosé „sowohl in Concert als auch Oper die größte Schlagfertigkeit und Bontine besitzt, und sowohl in musikalischer wie in persönlich[er] Beziehung den Ansprüchen eines vornehmen Kunstinstituts entspricht“, übernahm Mahler jede Verantwortung. Angesichts des künstlerischen Rufs von Eduard Rosé ergriff der Generalintendant Hippolyt von Vignau (1843-1926) schnell die Chance für das Weimarer Orchester, nicht nur die vakante Stelle noch bis zum Beginn der nächsten Theatersaison im Herbst zu besetzen, sondern hierfür auch noch einen überdurchschnittlichen Künstler gewinnen zu können. In der Zusage an Mahler von Anfang Mai 1900, welche dann per Kabeltelegramm von Wien nach Boston weitergeleitet wurde, kam die Erleichterung über diese „nach jeder Richtung hin beste Lösung [sic!] der Krise“ deutlich zum Ausdruck. In der Zusage wurde aber auch nochmals auf die geringen finanziellen Möglichkeiten Weimars verwiesen. Eine Erhöhung des bisherigen Jahresgehalts für die Konzertmeisterstelle von 3100 Mark war nicht zu erwarten, jedoch wurde eine weitere Verdienstmöglichkeit durch eine Dozentenstelle an der Großherzoglichen Musikschule (später: Orchester-Schule) mit einem Jahresgehalt von 800 Mark in Aussicht gestellt. Für Konzertreisen wurde ebenso die Gewährung von Urlaub zugesagt wie auch die Erlaubnis zur Annahme von Privatschülern. Da es sich bei der Stelle eines Konzertmeisters eigentlich um eine lebenslange Anstellung handelte, schlug man unter Hinweis auf das nicht stattgefundene Probespiel eine einjährige Probezeit vor. In dem erhalten gebliebenen Konzept des Antwortschreibens hatte von Vignau die Bemerkung wieder gestrichen, daß man Rosé damit auch die Möglichkeit einräumen wollte, während der Probezeit ohne große Mühe von der Weimarer Stelle wieder zurückzutreten. Insgesamt wird deutlich, daß man sich bewusst war, durch das Aufeinandertreffen verschiedener Umstände einen Künstler allerersten Ranges gewonnen zu haben und dabei wohl insgeheim befürchtete, daß dieser Weimar nur als Durchgangsstation zu nutzen gedachte.


Konflikte in Weimar


Seit dem 1. September 1900 war Rosé Mitglied des Weimarer Hoforchesters. Sein Verhältnis zur Generalintendanz war von Anfang an nicht spannungsfrei. Da er sich „außer Übung fühlte“ und sich noch eine gewisse Zeit der Ruhe ausbat, bevor er mit einem größeren Solostück konzertieren könnte, nötigte ihm Generalintendant von Vignau Anfang 1901 eine Verlängerung der Probezeit um ein Jahr ab. Erbost forderte Gustav Mahler am 3. März 1901 in einem Telegramm vom Krankenbett aus Aufklärung, da die „vollständige Eignung [Rosés] mir jüngst durch Freund Krzyzanowski entschieden versichert wurde.“ Der Generalintendant verteidigte sein Beharren auf einem Solokonzert und ließ dabei auch nicht unerwähnt, daß inzwischen „mehrere Bewerber um den Posten“ vorhanden waren. Hier deutet sich das Problem an, welches das weitere künstlerische Wirken Rosés in Weimar bestimmen sollte: Das Weimarer Orchester hatte bei weitem nicht mehr die Qualität wie im ausgehenden 19. Jahrhundert. Rosé war mit dieser Situation sicherlich im höchsten Maße unzufrieden und ließ dies die übrigen Musiker spüren, was die Spannungen mit der Intendanz wie auch seinen Kollegen weiter verschärfte und seine Festanstellung gefährdete. Angesichts dieser Situation sah sich Mahler offensichtlich gezwungen, persönlich in Weimar nach dem Rechten zu sehen: „Nun fahre ich schon heute Nachmittag zu Emma, der ich schon telegrafiert habe...“, schrieb er seiner Schwester Justine am 11. Dezember 1901 aus Berlin. Bereits vom 13. Dezember 1901 datiert dann ein Gutachten über die künstlerische Leistung Rosés, das Hofkapellmeister Krzyzanowski auf Weisung des Generalintendanten hin angefertigt hatte. Da dieses Gutachten außerordentlich positiv ausgefallen war, konnte man eine dauerhafte Anstellung nicht länger verzögern. Jedoch wurde gemäß eines entsprechenden Antrags des Generalintendanten der für die spätere Pensionsberechnung wichtige Dienstzeitbeginn in der von Großherzog Wilhelm Ernst unterzeichneten Ernennungsurkunde erst mit dem 1. September 1901 festgesetzt, also entgegen der früheren Vereinbarungen ohne Berücksichtigung des Probejahres. Rosé hatte nun abermals einen Konflikt mit der Generalintendanz auszutragen. Er gab das großherzogliche Ernennungsdekret zurück und erreichte schließlich, daß es durch Streichung geändert zu den Akten genommen und ihm schließlich am 6. Februar 1902 das „neu ausgefertigte und höchsten Orts vollzogene Decret“ seiner Festeinstellung zugesandt wurde.


Solche Affären waren charakteristisch für die zu dieser Zeit stattfindenden Zwistigkeiten im Weimarer Theater und wahrscheinlich auch mitverantwortlich für den deutlichen Qualitätsrückgang des Ensembles. Spätestens der Tod von Großherzog Carl Alexander am 5. Januar 1901 markierte das Ende des von ihm eingeleiteten „Silbernen Zeitalters“, in dem Weimar nochmals zu einem geistigen Mittelpunkt Deutschland geworden war. Sein Nachfolger, dem „gänzlich amusische[n], steife[n] und unsympathische[n] Großherzog Wilhelm-Ernst“ lag wenig an der Förderung des Weimarer Musiklebens. Dessen Interesse galt vielmehr der Jagd und dem Militär. Seine erste Gemahlin, Großherzogin Caroline (geb. 1884), förderte zwar die Musik- und Orchesterschule sowie verschiedene Künstler, verstarb jedoch bereits im Jahre 1905. Richard Strauss hatte angesichts der veränderten Situation in Weimar bereits zwei Jahre konstatiert: „Weimar ist unmöglich: hat kein Geld, kein Publikum keinen Saal und nur ein kleines Orchester mit einem sehr bescheidenen Dirigenten [R. Krzyzanowski].“


Besonders Eduard Rosé musste wohl zunehmend gespürt haben, künstlerisch wie wirtschaftlich mit seinem Gang nach Weimar eine Fehlentscheidung getroffen zu haben. Vermutlich zwangen ihn jedoch vor allem seine familiären Verhältnisse und sein Alter das - wenn auch bescheidene - Festeinkommen einem beruflichen Risiko vorzuziehen.


Die Streitigkeiten mit dem Generalintendanten setzten sich fort. Einmal verhängte von Vignau eine Geldstrafe, weil Rosé sich geweigert hatte, bei dem Stück „Schnorzelborn – Thüringer Dorfleben in vier Bildern“ von August Ludwig mitzuwirken. In seinem Widerspruch ersuchte Rosé die Intendanz, ihn „in Zukunft von solchen Mitwirkungen, welche sich mit meiner künstlerischen Position und Empfindung durchaus nicht vereinen lassen, freundlichst dispensieren zu wollen.“ Als Rudolf Huschke, Inhaber der Großherzoglichen Hofbuchhandlung in Weimar, am 4. September 1907 im Auftrage des sich noch auf Gastspielreise in München befindlichen Künstlers bei der Generalintendanz um die Erlaubnis nachsuchte, sein alljährlich in Weimar stattfindendes Konzert unter Mitwirkung von Krzyzanowski am 14. Oktober zur Aufführung bringen zu dürfen, erging der Bescheid, daß der Spielplan für diesen Tag noch nicht feststehe und Rosé noch einmal persönlich vorsprechen solle. Diese Konzerte Rosés wurden offenbar von anderen Mitgliedern des Ensembles argwöhnisch verfolgt. Konzertmeister Arthur Rösel meldete von Vignau im November 1907, daß Rosé in seiner Konzertankündigung den Titel „Hofkonzertmeister“ verwandt habe. Der Generalintendant nahm dies zum Anlaß, Rosé unter Verweis auf den Anstellungsvertrag, in dem nur der Titel „Konzertmeister“ vermerkt war, zu verwarnen. Rösel, selbst ab 1909 als Hofkonzertmeister im Staatshandbuchvermerkt, wird keinen Anstoß daran genommen haben, daß Rosé diesen Titel ab 1913 ebenfalls führen durfte. 


Zu einem gewissen qualitativen Aufschwung des Orchesters kam es, als am 1. September 1907 Peter Raabe dessen Leitung übernahm. Für den Weimarer Schüler Kurt Rasch, später selbst ein erfolgreicher Komponist, war der Eindruck der Konzerte in Weimar entscheidend für seinen Lebensweg, wobei neben klassischen Stücken zunehmend auch zeitgenössische Musik zu hören war. „Zuweilen hatte Peter Raabe auch Gustav Mahler auf dem Programm, mit Eduard Rosé, dem Schwager Mahlers, als 1. Solocellisten,...“ 


Dies reichte jedoch nicht, um Rosés Unzufriedenheit über die künstlerischen Fähigkeiten anderer Orchestermitglieder zu besänftigen. So ist anzunehmen, daß er sich tatsächlich im Jahre 1908, obwohl später von ihm abgestritten, in der Hofbuchhandlung Buchmann zu der Äußerung hinreißen ließ: „Ach. Das hier sind nicht meine Kollegen, sondern gewöhnliche Musikanten (oder Musiker), wie sie in jeder Stadtkapelle (oder Stadtpfeiferei) sitzen. Ich bin ein Künstler.“ Warum zwei Jahre vergingen, bis sich der Kammermusiker Leopold Schlevogt im Namen der Bläservereinigung hierüber schriftlich bei der Intendanz beschwerte, ist nicht festzustellen. Die Unterzeichnung einer ihm vorgelegten schriftlichen Entschuldigung lehnte Rosé am 3. Dezember 1910 mit der Begründung ab, alles vermeiden zu wollen was den „Schein erwecken könnte, als ob ich die fraglichen Äußerungen auch nur als möglich zugäbe!“ Für die Generalintendanz war die Sache damit erledigt und die beschwerdeführenden Musiker wurden auf die Möglichkeit einer Privatklage verwiesen. Diese wurde von Schlevogt tatsächlich erhoben und von Rosé daraufhin im Januar 1912 „die früheren Beleidigungen [durch Schlevogt]zum Gegenstand der Widerklage“ gemacht. Die Affäre, deren juristischer Ausgang nicht überliefert ist, nahm Rosé so mit, daß er sich im Mai mit einer „Nervendepression“ kurzzeitig dienstunfähig melden mußte. 


Über mehr als ein Jahrzehnt hinweg ging auch der Streit mit dem zweiten Cellisten Karl Friedrichs. Wohl wegen dessen mangelnden künstlerischen Fähigkeiten verweigerte ihm Rosé den Platz neben ihm am 1. Pult. Als Friedrichs einmal vorschlug „die Stimme vorzuspielen, um festzustellen, daß ich die Stimme wohl in derselben Art wie er [Rosé] verstehen könne, schrie er mich an, daß ich den Größenwahn hätte, ...“ Rosé erklärte später gegenüber der Generalintendanz, daß seine „Äußerung ‚größenwahnsinnig‘ keine Beleidigung, sondern eine ganz berechtigte, sogar noch milde Kritik“ gewesen sei. Man muss sich in diesem Zusammenhang wiederum in Erinnerung rufen, daß für Rosé ein extrem hoher künstlerischer Anspruch selbstverständlich war. Sein Bruder Arnold hatte sogar einem Kollegen, der in einem Fugato nicht rechtzeitig einsetzte, auf dem Podium mit dem Bogen auf den Kopf geschlagen. Auch er hatte in Wien einen Violinisten vom 1. Pult verbannt, weil er dessen in seinen Augen mangelhaften Fähigkeiten nicht ertragen konnte. Doch Weimar war nicht Wien und die Stellung von Eduard Rosé nicht mit der seines allseits gefeierten und mächtigen Bruders an der Hofoper zu vergleichen. Da Eduard Rosé die „schrecklichen Verhältnisse, unter welchen leider speciell ich seit nun fünfzehn Jahren zu wirken habe“, nicht länger ertragen zu können glaubte, suchte er im Januar 1915 beim Hofkapellmeister wie auch beim Generalintendanten um seine Pensionierung nach, was jedoch von beiden abgelehnt wurde. Der Streit zwischen den Musikern eskalierte kurze Zeit später und wurde auch für das Weimarer Publikum erkennbar, als Rosé den Cellisten Friedrichs während einer Othello-Aufführung auf sein Falschspielen aufmerksam machte und dieser daraufhin sein Instrument einpackte und den Orchestergraben verließ. Im Jahre 1921 legte die Intendanz schließlich nochmals die Sitzverteilung der Cellisten fest: „I. (rechtes Pult) : Herr Rosé, Herr Vogel, II. (linkes Pult): Herr Friedrichs, Herr Rüdiger.“ 


Die Enttäuschung über die ihm in Weimar gestellten künstlerischen Anforderungen wird im Zusammenhang mit seiner außerplanmäßigen, durch die besonderen Verhältnisse des Kulturbetriebs währen des Ersten Weltkriegs bedingten Beteiligung an einem Possenabend sowie einem Weihnachtsmärchen greifbar. Am 19. Januar 1916 teilte er der Generalintendanz mit: „Daß ich im Prinzip für derartige Mitwirkungen nicht schwärme, ist eine Sache für sich, da ich doch nach Weimar für Opern berufen wurde!“ Als Künstler enttäuscht verfügte Rosé ganz sicher auch nicht über das diplomatische Geschick eines Hinze-Reinhold, das für den Umgang mit „im Durchschnitt biedere[n] Musikhandwerker[n], manche von ihnen von nur geringer Bildung, einige davon von um so mehr Einbildung“ zu dieser Zeit in Weimar erforderlich war.


Kennzeichnend für seine auf die strikte Beachtung von Formen und Regeln gerichtete Grundhaltung ist eine weitere Auseinandersetzung Rosés mit der Theaterleitung. Trotz einer anderslautenden Anordnung hielt er bei einem von der Deutschen Sängerschaft am 3. Juni 1925 veranstalteten „Nachmittagskonzert den Frackanzug [sic!] für deplaciert“ und erschien im Anzug. Wenige Tage später wies er daraufhin, nicht gewußt zu haben, daß diese Anordnung nicht von der Deutschen Sängerschaft, sondern von der Generalintendanz gekommen war. In diesem Falle hätte er natürlich „den Standpunkt vertreten, ein Amt und keine Meinung zu haben!“


Obwohl Rosé sicherlich ein unbequemer Künstler war, wurde er über das Jahr 1924, in dem er das Pensionsalter erreicht hatte, hinaus am Nationaltheater beschäftigt. Hierbei waren auch fiskalische Gründe mitentscheidend, da angesichts der wirtschaftlichen Lage des Landes Thüringen die Verpflichtung eines neuen Künstlers auf die unverzichtbare Stelle des 1. Cellisten zunächst nicht möglich war. Zum 1. Juli 1926 wurde Eduard Rosé schließlich in den Ruhestand versetzt.

Lehrer an der Großherzoglichen Musikschule

Eduard Rosé (2. R.; 7. v.l.) mit dem Kollegium der Musikschule Weimar um 1920. Foto: Louis Held

Einen Wechsel in der Leitung der Großherzoglichen Musikschule nahm Eduard Rosé im Herbst 1902 zum Anlass, auf seine durch die Nichteinhaltung der ihm gegenüber gemachten Einkommenszusagen resultierende wirtschaftliche Not hinzuweisen. Anstatt ihn automatisch auf die versprochene Dozentenstelle an der Musikschule mit einem Festeinkommen in Höhe von 800 Mark zu berufen, konnte er lediglich auf Honorarbasis Stunden erteilen, was noch nicht einmal die Hälfte einbrachte. Die in Aussicht gestellten Privatschüler waren ausgeblieben. Zudem wurden sein Jahresgehalt wie auch das kleine Honorar der Musikschule hoch besteuert. Hyppolit von Vignau belehrte ihn daraufhin, daß mit seiner Einstellung bei der Hofkapelle keineswegs automatisch auch eine Lehrverpflichtung verbunden gewesen wäre, da die Generalintendanz nicht in die Personalentscheidungen der Orchesterschule eingreifen könne. Selbstverständlich sei man aber damals davon ausgegangen, daß Rosé auch hier die Nachfolge Grützmachers antreten würde. Tatsächlich aber waren die Beziehung zwischen dem Theater und der Musikschule seit Jahren eher unfreundlich. Der Generalintendant empfahl ihm, sich nun offiziell um die Dozentenstelle zu bewerben. Dies blieb jedoch zunächst vergeblich, und die Einnahmen aus der Nebentätigkeit sanken bis zum Jahre 1907 auf 245 Mark ab. Schließlich wurde Rosé am 4. Januar 1911 als Lehrer für „Violoncell- und Klavierspiel“ an der Musikschule angestellt und dieser Vertrag, der ein Festgehalt von 600 Mark sowie Sondervergütungen für zusätzliche Stunden vorsah, im Oktober 1917 verlängert. Ein in Folge von Inflation und Wirtschaftskrise finanziell schlechteres Angebot für eine notwendige turnusmäßige Erneuerung seines Vertrages nahm Rosé Anfang 1924 zum Anlaß, seine Lehrtätigkeit zu kündigen. Der tatsächliche Hintergrund war aber wohl die von Professor Hintze-Reinhold vorgenommen Umstrukturierung mit dem Ziel, der Schule eine Anerkennung als Hochschule zu verschaffen. In diesen Plänen war Rosé für die Leitung einer Abteilung oder die Aspektanz auf einen Professorentitel nicht vorgesehen. Mit einer weiteren Verwendung als Musiklehrer wollte er sich vermutlich nicht abfinden. Hinze-Reinhold drückte sein Bedauern darüber aus, „daß Sie [Rosé] von der Art Ihrer Tätigkeit an der Musikschule nicht befriedigt sind, doch hat es nicht in meiner Macht gelegen, Ihnen Ihre Stellung glücklicher [handschriftlich ersetzt für: künstlerischer] zu gestalten.“ Schließlich stimmte das Volksbildungsministerium einer vorzeitigen Auflösung des noch gültigen Vertrages zum 1. Oktober 1924 zu.

Wirtschaftliche Probleme

Neben der schlechten Arbeitsatmosphäre im Orchester und den Streitigkeiten mit der Intendanz war das Leben der Familie Rosé in Weimar ständig von wirtschaftlichen Problemen überschattet. Lange vergeblich waren regelmäßige Gesuche um die Erhöhung seiner Einkünfte. Erst vom Januar 1908 an wurde sein Gehalt im Zuge einer durch die deutliche Steigerung der Lebenshaltungskosten bedingte allgemeine Anpassung der Gehälter der Staatsbedienstenten auf 3400 Mark erhöht. Eine weitere Erhöhung um 200 Mark erfolgte im Juli 1912. Von Jugend an einen hohen Lebensstandard gewohnt, zwangen ihn nun elementare Nöte, immer wieder um einen Vorschuss auf sein Gehalt nachzusuchen, welcher auch in der Regel gewährt wurde. Seine wirtschaftliche Lage verschlechterte sich noch durch die Krankheit seiner Frau, die hohe Behandlungskosten und mehrere Kuraufenthalte erforderte. Finanzielle Unterstützung leistete Gustav Maler. Da die Kranke die Treppen in der alten Wohnung nicht mehr bewältigen konnte, mußten die Rosés schließlich aus der Kurthstraße 14 (heute Bauhausstraße) ausziehen und Am Viadukt 8 eine andere Wohnung mieten. Weitere Belastungen kamen durch die Ausbildung der Söhne Ernst (geb. 1900 in Boston) und Wolfgang (geb. 1902 in Weimar) hinzu.


Gastspielreisen in den Theaterferien ermöglichten ihm nur in geringem Umfange ein zusätzliches Einkommen. So wurde Eduard Rosé vom Sommer 1906 an mehrfach für die Mitwirkung an den Wagner-Festspielen im Münchner Prinz-Regenten-Theater beurlaubt. Besonders gerne nahm er sicherlich an Gastspielreisen des Rosé-Quartetts teil. Jedoch nur unwillig genehmigte Carl Baily von Schirach, Generalintendant seit 1908, Rosé 10 Tage Urlaub im April 1913 für die Teilnahme an zwei Konzerten seines Bruders Arnold in Mailand. Im Juli 1919 und Mai 1920 gastierte er mit dem Rosé-Quartett in Freiburg im Breisgau. 


Die wirtschaftliche Not, die sich durch den Ersten Weltkrieg noch verschärfte, zwangen ihn auch schließlich, Engagements zu akzeptieren, die sich mit seinen künstlerischen Intentionen eigentlich nicht deckten. So suchte er für den Sommer 1917 um Beurlaubung nach für ein Engagement als erster und Solocellist des Kurorchesters im Ostseebad Warnemünde unter Leitung des Musikdirektors Schulz aus Rostock, verbunden mit der Bitte, sein „Dienstinstrument auf eigene Verantwortung mitnehmen zu dürfen.“ Weiterhin wirkte er neben Konzerten der Musikschule auch an Veranstaltungen des Konservatoriums in Erfurt oder kirchlichen Konzerten in Weimar mit.

Die familiären und gesellschaftlichen Verbindungen

Die Bindungen zwischen den Mitgliedern der Familie Mahler-Rosé blieb stets eng. Eduard und Emma Rosé wurden im Jahre 1902 die Paten ihres Neffen Alfred. Patin von Alma (geb. 1906), der Tochter von Arnold und Justine, wurde Alma Mahler. Aus Weimar schickte Emma Rosé ihrer Schwägerin Alma Mahler im Herbst des Jahres 1904 die aktuelle Damenwäsche nach Köln, wohin diese ihren Mann auf einer Konzertreise begleiten wollte. Da Alma aber wegen einer Krankheit zurückbleiben mußte, sah sich Gustav Mahler gezwungen, die beiden Unterröcke von Köln aus auch noch nach Amsterdam mitzunehmen, bis diese dann endlich die Empfängerin in Wien erreichten. Einen Monat später berichtete er Alma über ein Treffen mit seine Schwester und ihren Mann in Leipzig, wo er 1904 seine 3. Symphonie dirigierte: „Heute früh kamen Emma und Eduard – sehr bescheiden, wohnte[n] der Probe bei, gingen mit mir dann zu Tisch, waren aber nicht zu bewegen, sich die Zeche von mir bezahlen zu lassen.“ 


Häufig mieteten die Familien im Sommer gemeinsam ein Ferienhaus in Österreich. Am Ferienort erschienen dann auch zahlreiche Freunde aus der Musikwelt. Eine Fotographie aus dem Jahre 1910, entstanden in Aussee, zeigt die drei Cousins Ernst und Wolfgang aus Weimar sowie Alfred aus Wien einheitlich in Lederhosen. Alma trägt ein Dirndl. Als während des Ersten Weltkrieges in Österreich die Versorgung mit Lebensmitteln schwierig wurde, verbrachte Alfred Rosé die Sommerferien mit seinen Cousins Ernst und Wolfgang im Haus von Marie Gutheil-Schoder (1874-1935) in Thüringen auf dem Lande. Die von Gustav Mahler geschätzte Sopranistin war im Jahre 1908 an der Wiener Oper als Carmen und Salome umjubelt worden.


Auch die Beziehungen zu Alma Mahler sollten nach dem Tode ihres Mannes im Jahre 1911 nicht zum Abbruch kommen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist von einem Zusammentreffen mit Alma Mahler auszugehen, als diese sich im März 1920 in Weimar aufhielt, um mit Walter Gropius, ihrem zweiten Ehemann, der hier seit einem Jahr das Bauhaus leitete, Scheidungsmodalitäten und vor allem das Sorgerecht für die Tochter Manon zu besprechen. Als Historiker möchte man es fast bedauern, daß die beiden nicht - wie es heute leider üblich geworden ist - auf Schritt und Tritt von einer Pressemeute verfolgt wurden, die über jedes Detail berichtete.


Im Sommer 1921 lud Alma Mahler den jüngeren Sohn Eduard Rosés, Wolfgang, der zu dieser Zeit bereits sein Talent als Pianist unter Beweis gestellt hatte, ein, die Ferien mit der Familie zu verbringen. Sie schätzte ihn wegen „seiner großen Musikalität“. Schnell wurde er zum Spielgefährten ihrer „überaus gescheiten und verträumten Tochter Manon Gropius.“ Nicht unerwähnt bleiben darf, daß der Schriftsteller Franz Werfel, mit dem sie später ihre dritte Ehe einging, während dieses Urlaubs Wolfgang Rosé einmal mit einem Band von Karl May unter dem Arm auf der Treppe traf. Mit den Worten „Ach, ein Lieblingsbuch von mir .... ich habe lange nicht hineingeschaut“, nahm Werfel „dem Tiefenttäuschten das Buch ab und verschwand seelenvergnügt in seinem Zimmer.“ Vermutet werden darf auch, daß ein Urlaubsgesuch Eduard Rosés vom März 1924 wegen einer „Einladung zu einer Familienfeier“ in Gotha im Zusammenhang mit einer Vortragsreise Franz Werfels in Begleitung von Alma Mahler steht, die ihn über Gotha nach Mühlhausen führte. 


Auch Gropius und seine zweite Frau Ise hatten einen engen gesellschaftlichen Umgang mit der Familie Rosé. In ihrem Tagebuch vermerkt Ise Gropius unter dem 11. September 1924 einen Abendbesuch bei den Rosés. Ausführlich geht sie dabei auf das künstlerische Talent von „Wolfi“ (Wolfgang Rose) ein, der einige Stücke von Chopin gespielt hatte. Am 25. Januar 1925 vermerkt sie den Besuch einer Aufführung von Mahlers 10. Symphonie unter dem Dirigat Otto Klemperers in Berlin. Ein Gesprächsthema der sich anschließenden Abendgesellschaft von Freunden und Bekannten des verstorbenen Komponisten war wiederum der Pianist „Wolfi Rosé“. 


Ein weiteres Bindeglied zwischen Wien und Weimar dürfte sicherlich der kunstsinnige Harry Graf Kessler (1868-1937) gewesen sein, der zu dem engeren Kreis um Alma Mahler und ihrer drei Ehemänner zählte. 


Selbst unter den schwierigen Bedingungen des Krieges unter der Emigration bestand ein reger Briefwechsel zwischen den verstreut lebenden Mitgliedern der Familie, der häufig über vertrauenswürdige Freunde lief.

Die künstlerische Entwicklung der Söhne Ernst und Wolfgang Rosé

Wolfgang Rosé


Da es Bruno Hinze-Reinhold bis Anfang der Zwanziger Jahre noch nicht gelungen war, die schon lange angestrebte Anerkennung als Hochschule für sein Institut zu erreichen, mußten beiden Söhne von Eduard Rosé nach ihrer musikalischen Ausbildung an der Weimarer Musikschule in Jena studieren. Wolfgang, der jüngere der beiden Söhne, war zweifelsohne der musikalisch talentiertere. Mehrfach bezeichnet ihn Hintze-Reinhold, der auch die Klavierklasse leitete, in seinen Lebenserinnerungen als seinen „besten Schüler“ und berichtet über vielfältige Förderungen des begabten Pianisten. Seine hervorragenden Noten und Auszeichnungen unterstreichen diese Einschätzung. Nachdem er bei Generalmusikdirektor Peter Raabe, der von Weimar nach Aachen gegangen war, im März 1921 seine „Feuerprobe“ bestanden hatte, bestätigte wenige Monate später auch Bruno Walter in München der Mutter Emma Rosé nach einem Probespiel im Juni 1921 das Talent ihres Sohnes. Wahrscheinlich schloß sich von München aus der bereits erwähnte Urlaub bei Alma Mahler in Österreich an. Seine Ausbildung setzte Wolfgang Rosé in Berlin bei Arthur Schnabel fort und war dort auch später als Konzertpianist erfolgreich.


Ernst Rosé


Weniger glücklicher verlief zunächst die künstlerische Entwicklung von Ernst Rosé. Sein Studium in Jena wie auch den Musikunterricht in Weimar brach er 1923 ab, um Schauspieler zu werden. Daß er hierfür gute Voraussetzungen mitbrachte, bestätigte ihm der Weimarer Schauspieler Rudolf Rieth und nahm ihn als Schüler in Rhetorik und Technik an. Nachdem er die Spielzeit 1923/24 zunächst als Volontär ohne festes Einkommen am Nationaltheater beschäftigt gewesen war, erhielt er im September 1924 ein Engagement mit einer Jahresgage in Höhe von 1200 Goldmark. Da diese geringe Gage noch nicht einmal zum Bestreiten der notwendigsten Bedürfnisse ausreichte, wurde ihm auf Antrag im Dezember 1924 ein Vorschuß von 120 Goldmark aus dem Nothilfefonds („Notschatz“) zur Beschaffung von Wäsche und Garderobe bewilligt. Verschiedentlich mußte er um weiteren Vorschuß etwa zur Begleichung von Zahnarztrechnungen nachsuchen, obwohl er ein vielbeschäftigter Schauspieler war, der in manchen Stücken sogar in zwei Rollen auftrat. Nur bei zwei Inszenierungen der Saison 1926/27 war er spielfrei. Es ist zu vermuten, daß Generalintendant Ernst Hardt zwar den jungen Schauspieler künstlerisch zu fördern suchte und von diesem als Generalintendant auch geschätzt wurde, die lang anhaltende Wirtschaftskrise aber eine Festanstellung unmöglich machte. Bis Anfang 1927 stieg die Jahresgage von Ernst Rosé auf 2160 Goldmark, verbunden mit der vertraglichen Verpflichtung, sich bei Bedarf „notfalls auch an anderen Thüringer Landestheatern ohne besondere Tätigkeitsvergütung“ verwenden zu lassen. Später erfolgte höhere Abschlüsse mit anderen Schauspielern veranlaßten ihn jedoch, sich im März 1927 mit einem verzweifelten Schreiben an Hardt zu wenden, daß es ihm trotz seiner Einsatzfreude nicht vergönnt sei „im Alter von 27 Jahren und im 4. Jahre an einem Institut [dem Nationaltheater] noch nicht eine Summe zu verdienen, die ein Existenzminimum darstellt.“ Nachträglich wurde ihm daraufhin die Gage auf 2400 Goldmark erhöht. Nach der Ablösung Hardts durch Franz Ulbrich (1885-1950) ließ sich Ernst Rosé verschiedentlich wegen „Engagementsangelegenheiten“ beurlauben. Auch Ulbrich bemühte sich um ein Engagement an einer anderen Bühne für ihn. So empfahl er ihn mit der Charakterisierung nach Dessau: „er ist ein strebsamer Künstler und sehr anständiger Mensch, sieht gut aus, ist durchaus der Typ des dunklen Charakterdarstellers, technisch gut durchgebildet, intelligent und vielseitig verwendbar.“ Obwohl sich auch Gropius beim Dessauer Generalintendanten Hartmann für ihn verwenden wollte, kam es dort zu keinem Engagement. Nachdem er am 11. Juli 1928 die Schauspielerin Rosa Weber (geb. 27. August 1900 in Ludwigshafen) geheiratet hatte, schied er noch im Sommer dieses Jahres aus dem Ensemble des Nationaltheaters aus und hielt sich bis zum Frühjahr 1929 in Bremerhaven auf. Seine Frau blieb in Weimar, wo sie unter anderem die Louise Millerin in Schillers  „Kabale und Liebe“ spielte. Spielfreie Zeiten nutzte sie für Fahrten zu ihrem Mann. Von Bremerhaven aus blieb Ernst Rosé in Kontakt mit Ulbrich, der ihm Wege für ein Engagement in Bad Pyrmont oder auch dem Thüringer Landestheater in Meiningen ebnen wollte. Schließlich scheint er jedoch das Angebot Ulbrichs für eine stundenweise Verpflichtung ohne festes Engagement vorgezogen zu haben, um gemeinsam mit seiner Frau in Weimar spielen zu können. Obwohl er jetzt nur noch zwischen 50 und 70 Mark pro Monat erhielt, wurde ein Antrag auf Arbeitslosenunterstützung abgelehnt. Nachdem auch das Festengagement von Rosa Weber-Rosé im Herbst 1929 nicht verlängert werden konnte, mußten beide Schauspieler um jede noch so kleine Rolle kämpfen. Als „Übergeschäftlichkeit“ bezeichnete die Generalintendanz Verhandlungen um die Gage für ein Aushilfsgastspiel seiner Frau. Am 12. Mai 1930 sah Ernst Rosé dennoch die Veranlassung, dem Generalintendanten Ulbrich zu danken, weil er ihm geholfen habe, „den Winter durchzukommen.“ Flehentlich bat er am 18. Mai 1930 um irgend ein kleines Engagement für die nächste Spielzeit, gleich, was es sei. Irgendwelche künstlerische Spezialisierungen hatte er aufgegeben und war bereit, auch Operette oder Ballett zu spielen. Denn es „ist für mich bei der heutigen Situation der deutschen Theater so gut wie aussichtslos, ein anderes Engagement zu finden.“  Es kann davon ausgegangen werden, daß die antisemitische Politik des nationalsozialistischen Innen- und Volksbildungsministers Wilhelm Frick in Thüringen seit 1930 die Situation von Künstlern jüdischer Abstammung weiter verschärft hat. Die wirtschaftliche Lage der Rosés muß verzweifelt gewesen sein. Ernst Rosé wohnte mit seiner Frau bei seinen Eltern. Vergeblich suchte Eduard Rosé um einen Vorschuß auf seine Pension nach, „weil sowohl mein Sohn Ernst, als auch meine Schwiegertochter seit zwei Jahren engagementlos sind, woran natürlich die begabten, strebsamen jungen Leute total schuldlos sind, ich jedoch als Vater sie nicht ohne Hilfe lassen kann und will.“ Zwei kleine Rollen spielte Ernst Rosé gleichzeitig in dem Napoleon-Drama von Benito Mussolini „Hundert Tage“ (Campo die Maggio), dessen Uraufführung am 30. Januar 1932 in Weimar auch Adolf Hitler beiwohnte. Doch selbst die kleinen Gastauftritte mußten angesichts der wirtschaftlichen Lage noch eingeschränkt werden. Eine Abrechnung vom 14. Oktober 1933 weist Monatsvergütungen zwischen 7.- Mark und 190.- Mark für die zurückliegende Saison aus. Am 9. Oktober 1935, knapp einen Monat nach dem Inkrafttreten des „Reichsbürgergesetzes“ sowie des „Gesetzes zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ schließlich wurde dem „bisher aushilfsweise beschäftigten Schauspieler Ernst Rosé“ mitgeteilt, „daß er auf Grund des Arierparagraphen durch Verfügung der Reichstheaterkammer am Deutschen Nationaltheater nicht mehr beschäftigt wird.“ Für kurze Zeit ging er nach Berlin und arbeitete dort mit einer Theaterkompanie, bis es auch hier keine Möglichkeiten mehr für ihn gab. Mehr Hoffnungen bestanden vor dem Anschluß Österreichs in Wien. Während er dort bei seinem Onkel Arnold Rosé wohnte, erfolgte am 27. November 1935 die Scheidung seiner Ehe in Wien.

Die nationalsozialistische Machtübernahme in Weimar

Als verläßlicher Zeuge der Goethefeierlichkeiten im März 1932 berichtet Thomas Mann, der wie Gerhard Hauptmann ebenfalls zum Freundeskreis der Familie Mahler-Rosé gehörte, von der „Vermischung von Hitlerismus und Goethe“ und stellt fest: „Weimar ist ja eine Zentrale des Hitlertums“. Tatsächlich gewann die NSDAP die Landtagswahl vom 31. Juli 1932, und Fritz Sauckel, seit 1927 Gauleiter, wurde  Ministerpräsident. Thüringen war damit das erste Land im Deutschen Reich mit einer nationalsozialistischen Regierung.


Die Landes- und Gauhauptstadt Weimar hatte aus mehreren Gründen für die nationalsozialistische Bewegung eine zentrale Bedeutung. Einmal eignete sich der zentrale Ort der deutschen Klassik hervorragend als Bühne für die Verbreitung deutschtümelnder, fremdenfeindlicher Phrasen. Zum anderen hatte eine rechtskonservative Regierung seit 1924 eine gute Ausgangsposition für den Wahlsieg der NSDAP geschaffen. In Thüringen durfte Hitler, der wegen des Münchner Putsch-Versuchs ansonsten im Reich mit Redeverbot belegt war, Wahlveranstaltungen abhalten. In Weimar fand 1926 der erste Reichsparteitag nach der Neugründung der NSDAP statt, in dessen Verlauf die Hitler-Jugend gegründet wurde. Schließlich hatten politische Erfolge der Nationalsozialisten in Weimar als Tagungsort der Nationalversammlung einen besonderen propagandistischen Stellenwert. Gegenüber dem späteren Theaterintendanten Hans Severus Ziegler hatte Hitler deshalb bereits 1928 geäußert: „... ich liebe nun einmal Weimar. Ich brauche Weimar, wie ich Bayreuth brauche. Und es wird der Tag kommen, da ich dieser Stadt und ihrem Theater noch manche Förderung zuteil werden lasse.“


Schließlich hatte die NSDAP Thüringen als politisches Experimentierfeld für die Machtübernahme genutzt, als Wilhelm Frick hier von 1930 bis 1931 Innen- und Volksbildungsminister war.


Nach seinem Regierungsantritt im August 1932 war Gauleiter Sauckel bemüht, die Vorreiterrolle Thüringens innerhalb der nationalsozialistischen Bewegung weiter auszubauen. Zwar behauptete Sauckel in einer Denkschrift, die er 1946 in der Nürnberger Todeszelle verfaßte, niemals Antisemit gewesen zu sein, tatsächlich aber wurden in Thüringen sehr bald alle schon vor der endgültigen Machtübernahme durch Hitler möglichen Mittel der Diskriminierung eingesetzt. Auch in diesem Punkt konnten die Nationalsozialisten auf eine ideologische Vorbereitung aufbauen. Das Wirken des Kreises um den völkischen Literaturpapst Adolf Barthels verschaffte „Weimar schon frühzeitig den Ehrentitel einer antisemitischen Hochburg“, wie die Presse stolz zu dessen 75. Geburtstag im Jahre 1937 meldete.


Ein Gesetz gegen das Schächten wurde in Thüringen bereits im Dezember 1932 als „Gesetz über den Tierschutz“ verabschiedet. In den Jahren 1926 und 1931 waren entsprechende Gesetzesvorlagen der Völkischen noch gescheitert. Zur Jahreswende 1932/1933 jedoch mußte Hitler Sauckel zurückhalten, da dessen Vorpreschen vor der vollständigen Machtübernahme nicht opportun war. Thüringen durfte sein Schächtgesetz erst zum 1. April 1933 in Kraft treten lassen, immerhin noch einen Monat vor dem entsprechenden Reichsgesetz und pünktlich zum reichsweiten Boykott jüdischer Geschäfte. Zu solch einem Boykott hatte Sauckel bereits im Dezember 1932 aufgerufen.


Sauckels größtes Problem in diesem Zusammenhang war, daß es in Thüringen und besonders in der Gauhauptstadt Weimar durch die restriktive Judenpolitik der wettinischen Fürsten nie zu größeren jüdischen Gemeinden gekommen war. Unter den damals rund 50.000 Einwohnern der Stadt lebten Anfang 1933 gerade 91 jüdischen Glaubens. Der Israelitische Religionsverein hatte nur 45 Mitglieder und eine Synagoge gab es nicht. So hatten die Nationalsozialisten bei der Boykottmaßnahme vom 1. April 1933 auch die größte Mühe, diese aufgrund kaum vorhandener jüdischer Geschäftsleute in Weimar eindrucksvoll in Szene zu setzen, zumal auch die beiden in jüdischem Besitz befindlichen Kaufhäuser an diesem Tag vorsorglich geschlossen blieben. An den Hauptstraßen nach Erfurt und Jena sowie im Freibad wurden Schilder mit der Aufschrift „Juden unerwünscht!“ aufgestellt. 


In der sogenannten „Reichskristallnacht“ vom 9./10. November 1938 gab es gerade noch ein kleines Spielwarengeschäft, dessen Inhaberin - eine ältere, bei den Kindern bis dahin als „Puppendoktor“ hochgeschätzte Frau - schwer mißhandelt und die Ladeneinrichtung demoliert wurde. In den darauffolgenden Tagen kamen rund 10.000 Männer jüdischer Abstammung am Weimarer Bahnhof an, die in ganz Mitteldeutschland verhaftet worden waren. Viele Weimarer Bürger waren Zeugen, wie diese Menschen mißhandelt, auf Lastwagen geprügelt und in das nahegelegene Konzentrationslager Buchenwald verschleppt wurden.

Die Familie Rosé und der Nationalsozialismus

Oben: Eduard Rosé mit einer Tulpe. Aus dem Nachlass des Malers Alfred Ahner (1890-1973). Unten: Totenschein aus der Opferdatenbank des Národní archiv Prag

Die wenigen erhalten gebliebenen schriftlichen Zeugnisse über das Leben der Rosés während der nationalsozialistischen Herrschaft in Weimar werden durch den eindrucksvollen Bericht der Tochter seines Hauswirts, Margarete Vogler, ergänzt, die auch nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten einen engem Kontakt zu ihm pflegte. Dieses Vertrauensverhältnis hatte vermutlich seine Wurzeln in der Theater- und Musikleidenschaft der Familie. Zwar waren der betagten Zeitzeugin einige Daten nicht mehr genau in Erinnerung, doch ergänzen die von ihr geschilderten Ereignisse nahtlos die schriftlichen Quellen. 


Als Emma Mahler-Rosé am 8. Juni 1933 stirbt, trägt die schriftliche Meldung ihres Ehemannes an die Theaterintendanz den auf eine Regierungsverordnung hin erweiterten Eingangsstempel: „Wer behauptet, Deutschland sei am Kriege schuld, lügt. Diese Lüge ist die Wurzel unserer Not.“ Bis zu dessen Weggang nach Berlin im Jahre 1935 wohnte Eduard Rosé gemeinsam mit seinem Sohn Ernst in dem Haus am Viadukt. Nach dem Tod seiner Frau hatte er zurückgezogen gelebt. Er verbrachte viel Zeit vor seinem Rundfunkgerät, um die Musik hören zu können, die sein Lebensinhalt gewesen war. Gelegentlich begleitete er die Rundfunkübertragungen auch auf seinem Cello. Auf einen Erlaß des Reichssicherheitshauptamtes hin wurden alle Rundfunkgeräte in jüdischem Besitz im Jahre 1939 eingezogen. Aus der schönen Wohnung mit Blick hin zum Ettersberg, die stets penibel aufgeräumt war, sollte Eduard Rosé als Folge der großen Baupläne des Gauleiters vertrieben werden. Das ganze Stadtviertel wurde abgerissen, um Platz für ein riesiges „Gauforum“ zu schaffen, das noch heute das Stadtbild beeinträchtigt. Sein Hauswirt, der Tapezierermeister Karl Körber, erwarb ein anderes Haus in der Marienstraße 16, ganz in die Nähe der Gaupressestelle gelegen. Hier vermietete er Eduard Rosé wieder eine kleine Wohnung im Dachgeschoß. 


Anfang 1939 kehrten beide Söhne nochmals nach Weimar zurück, obwohl ihnen in der Kleinstadt, wo viele sie kannten, Gefahr drohte. Sie wollten am 29. März, dem achtzigsten Geburtstag von Eduard Rosé, bei ihrem Vater sein. Wohl bei dieser Gelegenheit traf Margarete Vogler den Schauspieler Ernst Rosé das letzte Mal auf der Straße. Als er ihr von Emigrationsplänen erzählte, machte sie ihm mit den Worten „denn wir wissen doch nicht, was noch kommen kann“ Vorhaltungen, weil er seinen Vater zunächst nicht mitzunehmen beabsichtigte. Er erklärte ihr, bisher hätte man nur die Emigration für seinen Bruder und ihn in die Wege leiten können. „Ich dächte, er hätte gesagt von Gropius, das war ein früherer Verwandter oder so was.“ Sie müßten zunächst in Amerika Fuß fassen, um den Vater nachholen zu können. 


Für die sogenannten Affidavits, Bürgschaften, die für die Einreise in die USA erforderlich waren, sorgten demnach vermutlich Walter Gropius, der 1937 als Leiter und Lehrer an die Architekturabteilung nach Harvard berufen worden war, und der Dirigenten Serge Alexandrovich Koussevitzky, der von 1924 bis 1949 die Bostoner Symphonie leitete.


Ernst Rosés Flucht


Über Aufenthalte in der Schweiz, der Tschechoslowakei und England kam Ernst Rosé im Mai 1939 nach Amerika. Dort lebte er zunächst einige Wochen in einem jüdischen Heim, danach bei Walter Gropius in Harvard. Später arbeitete er kurze Zeit mit deutschsprachigen Theatergruppen in New York, u.a. dem Continental Comedy Theatre. Im September 1941 trat er eine Anstellung als Radiosprecher beim Office for War Information an. Hier leitete er zunächst mehrere Jahre die Ausstrahlung deutschsprachiger Sendungen in Europa. Später arbeitete er auch in den damals beliebten „radio-shows.“ Die amerikanische Staatsbürgerschaft hatte er, der ja in Boston geboren war, bereits 1942 erhalten. Ernst Rosé starb in Washington D.C. im Jahre 1988.


Wolfgang Rosés Flucht


Sein Bruder Wolfgang traf erst im Sommer 1941 von Berlin aus in New York ein. Er gehörte zu den letzten jüdischen Emigranten, denen noch während des Krieges die Flucht aus Deutschland nach Amerika gelang. Alma Rosé berichtete ihrem Bruder Alfred überglücklich, daß ein Zusammentreffen ihrer beiden Cousins in Freiheit vermutlich am 5. August stattfinden würde. Nach einiger Zeit konnte Wolfgang Rosé einen bescheidenen Lebensunterhalt durch Klavierunterricht für Privatschüler finden. Im darauffolgenden Jahr bereits begleitete er den bekannten russischen Baß Alexander Kipnis auf ausgedehnten Konzerttourneen durch die Vereinigten Staaten. Wolfgang Rosé starb während eines Österreich-Besuchs im Jahre 1977. Seine Witwe lebte später mit Alma Mahler-Werfel in New York zusammen.


Für einen Menschen wie Eduard Rosé, der sein ganzes Leben mit großem Selbstbewußtsein und Stolz ausgestattet gewesen war, mußte es besonders bedrückend gewesen sein, die schrittweise Demontage seiner Würde wie auch die Auflösung seiner Familie ertragen zu müssen. Wahrscheinlich versuchte er deshalb auch ungeachtet der Vorgänge um ihn herum, sein Leben in gewohnter Weise fortzuführen, so weit ihm dies noch möglich war. Unterstützt wurde er dabei von Menschen wie Margarete Vogler, die trotz der Gefahr Einkäufe für ihn tätigte und sich auch ansonsten um den alten Mann kümmerte. Vermutlich trifft deshalb eine später von ihm vor Gericht getroffene Aussage bezüglich der alltäglichen Repressionen durch die Nationalsozialisten weitgehend zu: „Ich bin Künstler und kümmere mich um sonstige Sachen nicht.“


Eduard Rosé und der Judenstern


Zu einem gravierenden Einschnitt in diese mühsam aufrecht gehaltenen Normalität mußte deshalb die Verordnung über das Tragen des sogenannten Judensterns werden, deren Wortlaut Rosé wenige Tage vor ihrem Inkrafttreten im Schaufenster der Zeitung „Deutschland“ gelesen hatte. Ihm war sofort klar, daß ihn dieses Stigma endgültig aus dem „normalen“ Leben ausgrenzen würde. Besuch im „Residenz-Café“, wo ihn noch 1926 der Maler Alfred Ahner skizziert hatte, konnten angesichts der inzwischen betont nationalsozialistischen Ausrichtung des Lokals nicht mehr stattfinden. Zu den Gästen zählten nun der Kuchenfreund Adolf Hitler und Hermann Göring, die bei ihren häufigen Weimar-Aufenthalten im nahegelegenen Hotel „Elephant“ wohnten Nun würden Eduard Rosé auch die Besuche im „Schwan“ oder dem „Fürstenhof“ (heute „Russischer Hof“), wo er als jahrzehntelanger Stammgast noch immer verkehren konnte, nicht mehr möglich sein. Ganz Bürger des Deutschen Reiches, mit einem noch immer ungebrochenen Vertrauen auf Rechtsstaatlichkeit, stellte er in dieser Situation das eingangs erwähnte verhängnisvolle Gesuch an den Polizeipräsidenten von Weimar als die zuständige Behörde:


„Weimar, den 17. September 1941
An den Herrn Polizeipräsident 
Staatsrat Paul Hennicke, Weimar


Hochverehrter Herr Staatsrat, 
Bitte mir gestatten zu wollen, mich mit dem folgenden Anliegen an Sie persönlich zu wenden, da ich in eine etwas ungewöhnliche Situation geraten bin infolge meiner nicht arischen Abstammung. Wie aus beiliegenden Dokumenten ersichtlich, gehöre ich den größten Teil meines Daseins, also über ein halbes Jahrhundert, der evangelischen Kirche an, werde aber dennoch den Nichtariern zugesellt. Nun bin ich ein bereits im 83. Lebensjahr stehender Witwer, der keinen eigenen Haushalt führen kann, und infolgedessen außer meinem mir selbst bereiteten frugalen Frühstück die Mittags- und Abendmahlzeit außer dem Haus einnehmen muß, wenn ich nicht ganz verhungern soll. Daß ich dann an einem einsamen Tische esse, ohne jemand zu molestieren, versteht sich von selbst! Durch das am 19. September in Kraft tretende neue Gesetz, einen gelben Stern als Kennzeichen der Judenzugehörigkeit sichtbar zu tragen, werde ich vor ein ungewöhnliches Dilemma gestellt, da ich doch auf meine alten Tage nicht Proselyt werden kann, ganz abgesehen davon, daß ich mich dadurch sogar eines Meineids der Kirche gegenüber schuldig machen würde! Ich bitte daher ganz ergebenst, mich gütigst davon entbinden zu wollen, den bewußten Stern zu tragen, da andernfalls meine Ernährung auf nicht zu überwindende Schwierigkeiten stoßen würde!


Anbei drei Urkunden zur gefälligen Einsichtnahme.
Mit der Bitte um Retourierung.
In vorzüglicher Hochachtung mit ergebenstem Deutschen Gruß
Konzertmeister i. R. der ehemaligen Hof- und nachmaligen Staatskapelle zu Weimar
Rosé“


Rosés „Verstöße“


Der Brief wurde umgehend an die Geheime Staatspolizei weitergeleitet. Es folgten eine Hausdurchsuchung und ein erstes Verhör in der Gestapo-Leitstelle im Marstall. Zunächst wurde ihm vorgeworfen, das Schreiben nur mit seinem Familiennamen Rosé unterzeichnet und dabei auf den diskriminierenden Zwangsnamen „Israel“ verzichtet zu haben. Bei der Hausdurchsuchung wurde weiterhin festgestellt, daß er sich, was für Juden inzwischen verboten war, über eine alte Kleiderkarte einen Anzug und Wäsche gekauft hatte. Er blieb daraufhin rund eine Woche in Untersuchungshaft und wurde mehrfach verhört. Nach seiner Rückkehr beschrieb er Margarete Vogler die Tage im Marstall mit den Worten: „Ich darf ja nichts sagen, aber Dantes Hölle ist ein Kinderspiel!“ Er erwähnte dabei „fürchterliche Kabinen“. Gemeint waren damit sicherlich die sogenannten Tageszellen im ersten Stock des Behelfsgefängnisses im Innenhof des Marstalls. Dies waren Holzverschläge, kleiner als eine Telefonzelle, in denen die Untersuchungshäftlinge durch Überheizung, ständiges Licht und laute Marschmusik gequält wurden. Typisch für Rosé war andererseits aber auch seine Entrüstung darüber, daß ihn die Wärter in der Untersuchungshaft geduzt hätten, was er sich verbeten habe.


Angesichts dieser Situation überzeugte Margarete Vogler schließlich Eduard Rosé, der den Stern noch immer nicht tragen wollte, von der Unabänderlichkeit dieser Weisung und nähte ihn ihm selbst an. Sie habe es aber „so gemacht, daß es nicht gar so auffällig war.“


Bei einer weiteren Hausdurchsuchung wurde festgestellt, daß Rosé trotz Verwarnung abermals gegen Auflagen verstoßen hatte: auf Bezugsscheinen für Lebensmittel war der Stempel „J“ beseitigt worden. Damit war es ihm möglich gewesen, weiterhin in seinen gewohnten Geschäften einzukaufen und nicht die inzwischen für Juden vorgeschriebenen, von seiner Wohnung weit entfernten Läden. Weiterhin hatte er unerlaubter Weise Einkäufe durch Margarete Vogler tätigen lassen, da er sich selbst in Folge der Untersuchungshaft nicht dazu in der Lage fühlte. 


Nun wurde auch Margarete Vogler „da runter“ in den Marstall bestellt und verhört. Auf die Frage ob sie gewußt hätte, das die Rosés Juden seien, verwies sie auf das christliche Begräbnis von Emma Rosé. Sie erhielt daraufhin eine Belehrung über die Begriffe „Glaubensjude“ und „Rassejude“. Auf Vorwürfe, daß es für Deutsche ungehörig sei, sich in solcher Form um Juden zu kümmern, verwies sie darauf, nichts anderes getan zu haben als die Frau von Reichsmarschall Göring. Diese habe nämlich nicht nur als damals noch unverheiratete Schauspielerin Emmy Sonnemann engen Kontakt mit Rosa und Ernst Rosé gepflegt. Rosa habe ihr einmal stolz alle Geschenke gezeigt, die sie von Emmy Göring anläßlich einer Erkrankung auch noch nach ihrer Eheschließung mit Ernst Rosé aus Berlin erhalten habe. Wahrscheinlich bewegte dieser Hinweis in Verbindung mit dem schauspielerisch gekonnt schlichten Auftreten die Gestapo, Margarete Vogler unbehelligt zu lassen.


In einem „beschleunigten Verfahren“ wurde am 5. Dezember 1941 vor dem Schöffengericht in Weimar gegen Eduard Rosé Anklage wegen Urkundenfälschung erhoben. Da ihm die Untersuchungshaft angerechnet werden mußte, wurde er lediglich zur Zahlung einer Geldstrafe von 70 Reichsmark sowie zur Übernahme der Kosten des Verfahrens verurteilt.


Räumung und Zwangsumzug


Noch im selben Monat mußte er seine Wohnung räumen. Er wurde in das Haus der Kammersängerin Jenny Fleischer-Alt in der Belvederer Allee 6 eingewiesen, daß seit 1940 als sogenanntes „Judenhaus“ genutzt wurde. Die Menschen, denen man ihren Besitz genommen hatte oder die aus ihren Wohnungen vertrieben worden waren, wurden in diesen „Judenhäusern“ zusammengefaßt, nicht zuletzt weil sie damit besser überwacht werden konnten. Die ebenfalls hochbetagte Kammersängerin und der Cellist kannten sich natürlich vom Theater her wie auch von der gemeinsamen Arbeit als Lehrer an der Musikschule.


Im Frühjahr erhielt Margarete Vogler überraschend Besuch von Frau Fleischer-Alt. Diese bedankte sich bei ihr für alles, was sie für Eduard Rosé getan hatte. Nur kurz danach, am 7. April 1942, beging die Kammersängerin, die sich bis zum Jahre 1939 strikt geweigert hatte, ihre deutsche Heimat zu verlassen, aus Angst vor der bevorstehenden Deportation Selbstmord. Ihr Haus wurde daraufhin geräumt. Ihre Möbel, Bilder und Teppiche wurden an Interessenten verkauft. Die noch verbliebenen Bewohner mußten in ein anderes „Judenhaus“ Am Brühl 6 umziehen, das Margarete Vogler als „ein fürchterliches Loch“ bezeichnet.


In der Nähe dieses Hauses begegnete sie Eduard Rosé ein letztes Mal. Er erzählte ihr, sogar mit einer gewissen Freude in der Stimme, dß er nun vermutlich bald in seine alte Heimat zurückkehren werde. Das heute noch existierende Haus, inzwischen saniert und mit einer Gedenktafel versehen, steht nur wenige Schritte vom Marstall entfernt. In der Reithalle des Marstalls hatten sich auf schriftliche Befehle der Gestapo hin seit Mai 1942 jüdische Familien aus ganz Thüringen zu versammeln, die „nach dem Osten abgeschoben“ werden sollten.


Deportation und Ermordung


Am 20. September 1942 wurde auch Eduard Rosé von hier aus nach Theresienstadt deportiert. Er starb dort am 24. Januar 1943. Die Generalintendanz des Nationaltheaters hatte bereits am 11. November 1942 an den Thüringischen Minister für Volksbildung gemeldete: „Der Konzertmeister a.D. Rosé hat sein Ruhegehalt seit dem 1. Oktober d[e]s. J[ahre]s. nicht abgehoben. Es wird angenommen, daß Rosé, welcher Jude ist, nicht mehr hier in Weimar lebt. Wir bitten um Anweisung über etwaige Einstellung der Zahlungen.“


Die Söhne waren seit ihrer Emigration von Nachrichten aus Weimar abgeschnitten. Im Herbst 1942 schrieb Walter Gropius an Ernst Rosé „I am very sorry that you don’t hear anything from your father. The news we read about the treatment of the Jews in Europe must drive all of us made [sic!] and I only hope that your father’s age will protect him.“


Nach dem Krieg


Den Angaben Margarete Voglers zu Folge kehrten beide Söhne Rosés gegen Ende des Krieges noch einmal nach Deutschland zurück. Wolfgang Rosé habe sogar während der amerikanischen Besetzung Thüringens ein Klavierkonzert in Weimar gegeben, es aber abgelehnt, sich mit jemandem aus der Stadt zu treffen. Sein Bruder Ernst sei als Sprecher des Senders „Voice of America“ zu hören gewesen, der von Stuttgart aus sendete. Ihre Schwiegertochter Ursula Vogler bestätigte dem Verfasser mehr als vierzig Jahre danach, daß die Familie noch Mitte der fünfziger Jahre mehrfach zusammengerufen wurde, wenn Ernst Rosé im Radio zu hören war.


Am 3. September 1947 stellte Albrecht Türk, Pförtner im Schillerhaus zu Weimar, im Namen der Söhne an das Nationaltheater einen Antrag auf Erstattung des Nachlasses ihres Vaters. Nachdem seine Legitimation einige Zeit angezweifelt, aber tatsächlich ein Betrag von 346,40 RM auf den Konten des Nationaltheaters festgestellt worden war, teilte man Herrn Türk am 17. Februar 1948 in unerbittlichem Amtsdeutsch mit, „daß gemäß den zur Zeit bestehenden Bestimmungen Zahlungen von Versorgungsbezüge an außerhalb Thüringens lebende Personen nicht möglich sind. Ferner handelt es sich wohl um einen Fall, der vor der Kapitulation Deutschlands geregelt werden sollte. Eine Sterbeurkunde über den Todesfall des Herrn Rosé liegt hier nicht vor. Sollte es sich um einen Todesfall vor dem 1.4.1946 handeln, so könnten wir in diesem Falle nichts mehr dafür tun, da uns keine Mittel mehr zur Verfügung stehen. Wir bedauern außerordentlich, dem Wunsche der beiden Söhne des Verstorbenen leider nicht entsprechen zu können.“


Es wird vermutlich immer ungeklärt bleiben, wie das besondere Vertrauensverhältnis zwischen dem Konzertmeister Eduard Rosé und dem Pförtner Albrecht Türk entstanden ist. Aufschluß hierüber hätten vielleicht die Albrecht Türk von „Herrn Rosé vor dessen Abtransport ins KZL übergebenen Papiere“ geben können. Albrecht Türk starb 1988 kinderlos in Weimar. Eine Nachbarin kann sich noch gut an ihn erinnern. Niederschmetternd war ihre Auskunft, sein „Papierkram und die Bücher“ hätten noch Jahre in einem Schuppen im Hof gelegen. Vor wenigen Jahren wurde das Haus in der Ackerwand 11, nur etwa hundert Meter vom historischen Archivgebäude am Beethovenplatz entfernt, vollständig saniert.


Arnold, Alma und Alfred Rosé


Arnold Rosé war im Frühjahr 1939 wenige Wochen nach seiner Tochter Alma nach London emigriert. Ihre Mutter Justine Mahler-Rosé war bereits am 22. August 1938 in Wien verstorben. Alma hatte sich auf Grund ihrer außergewöhnlichen Begabung zu einer umjubelten Violinistin entwickelt. Große Erfolge hatte sie mit einer von ihr gegründeten Damenkapelle bei Tourneen durch ganz Europa gefeiert. Persönliche Gründe, vor allem aber die schlechte Arbeitssituation für Emigranten in England veranlaßten Alma am 26. November 1939 in dem damals noch unbesetzten Holland ein Engagement anzunehmen. Als am 10. Mai 1940 deutsche Truppen einmarschierten, mußte sie untertauchen. Mit Konstant August von Leuwen ging sie ein Scheinehe ein, um einen holländischen Namen zu tragen. Als auch in Holland die Deportationen begannen, flüchtete sie nach Frankreich. Anfang 1943 wurde Alma Rosé verhaftet und in Drancy interniert. Im Juli 1943 erfolgte ihre Deportation nach Auschwitz. Im September 1943 wurde ihr in Auschwitz-Birkenau die Leitung des Frauen-Lagerorchesters übertragen. Sie arbeitete verbissen daran, die wenigen Musikerinnen und vielen Amateurinnen zu einem Orchester zusammen zu schmieden. Sie glaubte fest daran, daß sie und die Frauen, die während des Marsches der Häftlinge von den Zügen in die Gaskammer wie auch bei Veranstaltungen der SS spielen mußten, so eine Chance zum überleben hätten. Sie erwarb sich innerhalb kürzester Zeit einen legendären Ruhm. Am 5. April 1944 starb Alma Rosé im Krankenlager an den Folgen einer Vergiftung, deren Ursache nicht vollständig geklärt werden konnte. Mehrere Tage lang hatten verschiedene Ärzte um ihr Leben gerungen. Einer von ihnen war der berüchtigte SS-Arzt Josef Mengele. Ihr Vater Arnold starb 1946 in London, belastet mit dem Schmerz über den tragischen Tod seiner Tochter.Ihr Bruder Alfred, dem die Flucht nach Kanada gelungen war, konnte das Schicksal seiner Familie und besonders den Tod seiner Schwester Alma nie verarbeiten. Es verwundert nicht, daß er den bedeutenden Nachlaß der Familie Mahler-Rosé keinem Archiv in Österreich oder Deutschland übergeben wollte, sondern diesen seiner Universität in Kanada anvertraute, an der er bis zu seinem Tode im Jahre 1975 als angesehener Musikwissenschaftler und Musiktherapeut lehrte.


Die Brüder Rosé und alle Angehörigen ihrer Familien waren im höchsten Grade im deutschen Kulturkreis assimiliert. Sie alle widmeten ihre Talente einer Kunst, die von deutschsprachigen Komponisten und Dichtern geprägt war. Ihre Konzerte und Auftritte waren über mehr als fünfzig Jahre hinweg Höhepunkte des europäischen Kulturlebens. Sie wurden vertrieben und ermordet. Eine annähernde Vorstellung des Kulturverlusts, den der nationalsozialistische Rassenwahnsinn verursachte, ergibt sich vielleicht erst dann, wenn man etwas wie das von Alma und ihrem Vater Arnold Rosé gespielte Doppelkonzert in g-moll von Bach gehört hat.


 

Zum Autor

Dr. Bernhard Post (* 5. Mai 1953 in Mainz) ist ein deutscher Archivar und Historiker. Er war langjähriger Direktor des Hauptstaatsarchivs in Weimar und bis zu seiner Pensionierung Direktor des Thüringer Landesarchivs. 


Der Text wurde MENORA freundlicherweise vom Autor zur Verfügung gestellt. 


Der Aufsatz ist in der Mainzer Zeitschrift Mittelrheinisches Jahrbuch für Archäologie, Kunst und Geschichte Jahrgang 96/97, 2001/2002 erschienen. Herausgegeben von Wolfgang Dobras, Franz Dumont, Helmut Mathy und Ferdinand Scherf. Dort auch die Belegstellen der zitierten Quellen.